Markenvergleich: Migros vs. Coop

Der «Romance-Effekt» steht über dem reinen Bereitstellen von Waren.

Marta Kwiatkowski Schenk, Senior Researcher und Deputy Head Think Tank am Gottlieb Duttweiler Institut



«Retail-Flächen werden sich vor allem bezüglich Grösse und Verwendung verändern.»

Marta Kwiatkowski Schenk, Senior Researcher und Deputy Head Think Tank am Gottlieb Duttweiler Institut

Marta Kwiatkowski
1. Im Silicon Valley gibt es Stimmen, welche das Verschwinden von 80% der heutigen Retail-Flächen bis 2025 prognostizieren. Wie sehen Sie das für die Schweiz?
Diese Prognose ist möglicherweise stark vom Retailumfeld in den USA beeinflusst. Die Schweiz tickt mit ihrem Inseldasein und der Kleinräumigkeit, dem quasi-Duopol mit Migros und Coop und der extrem hohen Retail-Dichte anders. Immerhin gibt es auch für die Schweiz Studien (z.B. von der Credit Suisse), die von einem Verschwinden von bis zu einem Drittel aller Läden in den nächsten 20 Jahren ausgehen. Solche Prognosen sind sicher mit Vorsicht zu geniessen. Wir sind hingegen der Überzeugung, dass sich die Flächen vor allem bezüglich Grösse und Verwendung verändern werden.

2. Können Sie das bitte erläutern?
Einerseits gibt es einen klaren Trend zu kleineren Flächen. Der grosse Aufschwung der Megastores ist vorbei. Das hat damit zu tun, dass man heute viel häufiger pro Woche einkauft, der typische Samstags-Grosseinkauf hat an Bedeutung verloren. Das hat mit unserer Mobilität zu tun und der Möglichkeit – z.B. auch dank längeren Öffnungszeiten oder Hub-Läden an Bahnhöfen – jederzeit noch schnell das Nötige einzukaufen. Einkaufen tut man heute oft «on the go» in kleineren Portionen und über die Zeit verteilt. Da kommt ein dichtes Netz von kleineren Flächen dem Kundenbedürfnis entgegen.

3. Und wie wird sich die Verwendung der Flächen verändern?
Wir sprechen hier vom sogenannten «Romance Effekt»: Die Marktstimmung, das Frische-Erlebnis, das Menschen-Treffen steht hier über dem reinen Bereitstellen von Waren. Dieser Trend hat bereits begonnen, wird aber durch die Digitalisierung zusätzlich beflügelt.

4. Das klingt nach einem Widerspruch …
Im ersten Moment ja, weil man bei Digitalisierung von Retail primär an Verfügbarkeiten, Lieferfristen, Zahlungssysteme und Logistik denkt. Diese Dinge werden den Online-Lebensmittelhandel sicherlich weiter beeinflussen und weiterwachsen lassen, denn mit knapp 5% sind wir in der Schweiz ja noch bescheiden unterwegs. Bei Digitalisierung sollte man aber auch an mixed reality Effekte denken – daher überlegen, wie digitale Informationen individualisiert auf der realen Ladenfläche wirken können und so das Einkaufserlebnis verändern werden. Weiter gilt es zu beachten, dass heute noch kaum über das Erlebnis im Laden drin hinausgedacht wird. Auch hier wartet die Digitalisierung mit grossen Chancen auf.

«Das „Online-Shopping der Zukunft“ geht in
Richtung mixed reality.»

Marta Kwiatkowski Schenk, Senior Researcher und Deputy Head Think Tank am Gottlieb Duttweiler Institut

5. Geben Sie uns ein Beispiel?
Aktuell dreht sich die klassische Diskussion beim Stichwort «Digitalisierung im Retail» um Online-Shops, wie wir sie heute kennen: Wir denken an eine bestimmte Adresse im Internet, wo der Konsument gemäss seinen Bedürfnissen Waren zusammenklickt und sie sich dann gesammelt heim oder an eine Pick-up-Stelle liefern lässt. Übrigens ist hier das Wachstum auch nicht so stark wie ursprünglich erwartet, weil eben auch online immer weniger Gross-Einkäufe gemacht werden und sich tägliche Kleinsteinkäufe weniger lohnen. Das «Online-Shopping der Zukunft» geht hingegen wiederum mehr in Richtung mixed reality: Dem Konsumenten begegnen zu ihm passende Produkte irgendwo im Leben, auf Knopfdruck kann er diese kaufen – sei es zuhause auf dem Sofa, irgendwo auf der Strasse, im Zug oder im realen Laden. Wer da die Finger mit im Spiel hat, wird die Nase vorn haben. Die zu gestaltende und zu besetzende Client Experience dehnt sich weit über die gegebene Ladenfläche ins Leben der Kunden aus. On- und Offline wachsen zu einem Erlebnis zusammen.

6. Dieses Szenario würde zu tiefgreifenden Veränderungen im Schweizer Detailhandel führen.
Ja, der Druck ist zwar noch nicht so gross, aber es lohnt sich für die Schweizer Anbieter, sich Gedanken zu machen, welche Rolle sie spielen möchten in Zukunft. Auf drei Ebenen:
1. Wer hat künftig die «Deutungshoheit» im Laden? Wenn der Kunde künftig von auf ihn massgeschneiderten digitalen Inhalten durch den Laden geführt wird, wird das Gestalten von Impulskäufen schwieriger, weil der Kunde dort vielleicht gar nicht mehr vorbeikommt.
2. Wie spiele ich als Detailhändler eine Rolle in den Einkaufssystemen ausserhalb meines Ladens, wie präsentiere ich mich da und wie sorge ich dafür, dass ich als Marke wahrgenommen werde?
3. Mit wem tue ich mich zusammen, um bei der plötzlichen Vielfalt aller Produkte, die überall und jederzeit – nämlich im mixed reality Raum – verfügbar sind, einen Teil am Umsatz für mich abschneiden zu können, ohne selbst alles in meinem eigenen Lager zu haben?
Dies alles hat mit Plattformen zu tun, wer die Daten hier in den Händen hält, hat den Handel weitgehend im Griff.
7. Reden wir über solche Plattformen, wer wird sich da durchsetzen?
Das ist sehr schwer zu sagen – natürlich sind Unternehmen wie Amazon oder Alibaba prädestiniert, weil sie sich schon sehr aktiv in diese Richtung entwickeln. Wer wie wann das Rennen machen wird, ist offen. Ziemlich sicher hingegen ist, dass hier weiter eine Konzentration stattfinden wird. Es ist für die User convenient, wenn sie eine einzige Adresse des Vertrauens haben, die sie einmal aufsetzen, wie den Browser auf einem neuen PC, und dann konsequent nutzen. Ohne dass sie sich um viele Logins, langwierige Zahlungsabläufe usw. kümmern müssen. Die Interfaces sind hier aktuell noch zu komplex. Wir erwarten in den nächsten Jahren grosse Schritte in Richtung Vereinfachung und damit eine Machtverschiebung von den klassischen Händlern hin zu den digitalen Daten-Bereitstellern und -Plattformen.

8. Zum Schluss: Was wird sich digital sonst noch tun?
In der Logistik wird es weiter rasant vorwärtsgehen. Das müssen nicht mal Drohnen sein – schon die extreme Optimierung von Lieferwegen wird Effizienzsteigerungen bringen. Zum Beispiel: Wird die Bestellung x via Taxi, das grad in die richtige Richtung fährt oder via Velokurier geliefert, oder liefert der Händler just in time an den Bahnhof, an dem der Kunde nächstens ankommen wird. Solche Prozesse zu optimieren und die Lieferung entsprechend günstig bis gratis anzubieten wird den Handel weiterbringen. Auf der anderen Seite werden weitsichtige Händler auch versuchen, ihre digitalen Angebote mit Erlebnis anzureichern – multimediale Inhalte direkt beim Produkt werten dieses auf und werden vom Kunden als Mehrwert empfunden. Da liegt viel Potential in der Gestaltung des Online-Erlebnisses, gleichzeitig tun sich neue Möglichkeiten auch für digitalisierte Erlebnisse auf der Fläche auf.
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